Tadschikistan begrüßt uns mit viel Regen. Es schüttet wie aus Eimern und so entschließen wir uns in Pandschakent, der ersten Stadt hinter der Grenze, direkt ein Hostel anzusteuern. Wir schlafen wie gewohnt im LKW, genießen aber die Möglichkeit Wäsche zu waschen und zu duschen ohne auf das Wasser achten zu müssen. Nur als der Rezeptionist uns unsere drei Ladungen frisch gewaschene nasse Wäsche runter in den LKW bringt und uns erklärt, es gäbe keinen Ort um sie aufzuhängen, sind wir etwas baff. Wohin mit dem Zeug? Auch er ist etwas ratlos. Gemeinsam finden wir dann eine leere Etage im Nachbarhaus um unsere Wäscheleine doch noch im trockenen aufhängen zu können.
Während des Gassigehens in Pandschakent werden wir von einem Schuljungen auf der Straße angesprochen. Rustam möchte gerne sein Englisch ausprobieren und uns am liebsten mit zu sich nach Hause nehmen. Wir lehnen freundlich ab, aber er folgt uns auf Schritt und Tritt und kommentiert all unsere Aktionen mit großer Neugier.
Als nächstes gesellt sich ein alter Mann hinzu. Er redet auf uns ein und Rustam übersetzt so gut er kann: „Ich war lange in Deutschland stationiert! In Potsdam und in Straußberg! Ich liebe die Deutschen!“ Dabei salutiert er vor uns und ihm kommen fast die Tränen. Wir sollen auf jeden Fall mit ihm nach Hause kommen. Diesen Gefallen müssen wir ihm doch tuen. Wieder lehnen wir freundlich ab und machen Smalltalk über unseren Dolmetscherjungen. Der alte Mann bleibt jedoch hartnäckig und nach zehnmaligem ablehnen, knicken wir ein und nehmen seine Einladung an.
Er müsse nur kurz noch etwas einkaufen, aber wir sollen schon mal vorgehen, er hat dem Jungen den Weg zu seinem Haus beschrieben. Etwas verloren stehen wir also vor dem Haus und klopfen an die Tür. „Äh – ja – Wir wurden von so einem alten Mann gebeten hier her zu kommen, um mit ihm einen Tee zu trinken“ versuche ich dem kleinen Mädchen hinter dem Tor auf Englisch zu erklären. Auch der Dolmetscherjunge weiß nicht so recht was er dem Mädchen erzählen soll.
Nach zehn peinlichen Minuten kommt Achmed zum Glück wieder. Er hat Brot, Süßigkeiten und Schnapps unter dem Arm und bedeutet uns sich zu setzen. In den kommenden Stunden müssen wir viele alte Fotoalben mit Armeebildern aus Ostdeutschland durchblättern, Schnapps aus Teetassen trinken und anstandshalber einige sehr fettige frittierte Spinatsamosas essen.
Häufig versuchen wir aufzustehen und zu gehen, aber es folgt immer ein weiterer Trinkspruch vom alten Mann mit der Erwartung ebenfalls einen Trost auszusprechen. Als wir dann endlich gehen dürfen, erklärt der Alte, dass er uns noch etwas schenken möchte. Er verschwindet im Nebenraum und kommt mit einem Kunstdruck eines alten russischen Gemäldes eines Saufgelages zurück. Als meine Versuche das Gemälde abzulehnen kläglich scheitern, denke ich mir na gut: Das Ding nimmt keinen Platz weg, also her damit und endlich zurück zum LKW.
Triumphierend lächelt Achmed und gibt ums zu verstehen, dass er noch etwas hat. Nun kommt er mit einem alten russischen Reisegrammophon zurück. Wir müssen dies unbedingt mitnehmen. Wieder versuche ich krampfhaft ihn davon zu überzeugen, dass wir das auf gar keinen Fall annehmen können. Wir haben ja auch keinen Platz… Leider hat Achmed unseren LKW gesehen und kann diese Ausflucht überhaupt nicht akzeptieren: So ein großes Auto wird doch Platz für ein Grammophon haben!?
Nach weiterer Diskussion tut dann der viele Schnapps sein Übriges meine Toleranzschwelle für alte Grammophone erheblich steigen zu lassen. Ich will einfach nur zurück. Mit oder ohne Grammophon…. So schwanke ich nach über 5 Stunden „Gassigehens“ dann bepackt mit Grammophon, Saufgemälde und den Resten des Essens wieder zurück zur Hauptstraße wo unser LKW parkt. Was für ein Tag….
Zwei Tage später brechen wir in die Fan-Berge auf. Wir wollen die sieben Seen von Haft Kul besuchen. Der Weg in die Berge ist abenteuerlich. Die starken Regenfälle der letzten Woche haben die Straße an vielen Stellen weggeschwemmt. Die Flußquerungen der kleinen Gebirgsbäche sind nun zweihundert Meter breite Schlammsümpfe. Mit eingeschalteten Sperren treiben wir den LKW durch den 70cm hohen Schlamm.
Schon bald wird die Straße sehr eng. Auf der rechten Seite muss ich aufpassen nicht den Felsüberhang mit dem Koffer mitzunehmen und auf der linken Seite schaue ich penibel danach, dass auch ja kein Rad der Abbruchkante der steilen Gebirgsstraße zu nahe kommt. Langsam ruckeln wir über die Straße und hoffen, dass kein Gegenverkehr kommt: Denn Ausweichen wäre nicht möglich.
Nach dem zweiten See bemerken wir eine Gerölllawine die am Vortag herabgekommen ist. Die Straße ist mit badewannengroßen Felsen versperrt. Die Menschen aus dem nächsten Dorf haben zwar schon etwas mit dem Vorschlaghammer abgetragen, so dass ein kleiner Lada sich vorbeizwängen kann, für uns ist jedoch hier Schluss. Besonders ärgerlich, da wir auf unserer letzten Weltreise häufig von Baumstämmen auf der Straße gestoppt wurden und extra für diesen Zweck nun eine Kettensäge mit uns herumfahren. Der Sinn dieser Säge wurde häufig (besonders von der Dame des Hauses) kontrovers diskutiert. Für mich ist sie natürlich unabkömmlich. Aber scheinbar ist dies ein Zeichen, dass wir für die nächste Reise nun unbedingt einen Presslufthammer an Board benötigen...
Da es hier nicht weitergeht müssen wir rückwärts die 600m entlang der Felsüberhänge und Abbruchkante zur nächsten "Wendemöglichkeit" zurück. Dabei werden wir von einem völlig betrunkenen Tadschiken begleitet, der meint er müsse uns einweisen: Laut gestikulierend erteilt er Anweisungen, ist aber so betrunken, dass er sich nicht alleine auf den Beinen halten kann und rutscht dabei fünf Mal die Böschung herunter.
Völlig geschafft suchen wir uns einen Übernachtungsplatz in den Bergen neben einer alten Stallanlage. Es ist der einzig grade Platz der versteckt von der Hauptstraße zu finden ist. Anscheinend ist er auch bei den örtlichen Trinkern sehr beliebt, denn es finden sich einige zerbrochene Vodkaflaschen auf der Wiese. Zu allem Überfluss stolpert Johann am nächsten Morgen über einen Stein und landet mit einer seiner kleinen Hände in einer der Scherben. Der Schnitt muss versorgt werden, und wir fahren Hals über Kopf zurück nach Pandschakent.
Dort angekommen bekommen wir einen Einblick in das marode Gesundheitssystem Tadschikistans. Wir fahren ein Kinderkrankenhaus an und laufen durch die dreckigen Gänge, vorbei an alten rostigen Bettgestellen mit sehr blass aussehenden Kindern. Als wir endlich einen Arzt finden, schaut sich dieser kurz Johanns Hand an, murmelt etwas von Chirurgie auf Russisch und bedeutet uns ins „Central Hospital“ zu fahren. Er kann oder möchte uns nicht helfen.
Somit laden wir Johann wieder in den LKW ein und beginnen die Suche nach dem zweiten Krankenhaus. Es ist nicht einfach zu finden, und wir verfahren uns zwei Mal bis wir endlich vor dem nicht LKW tauglichen Zufahrtsweg stehen. Auch in diesem Krankenhaus sind die Verhältnisse nicht besser. Eine zentrale Notaufnahme, oder eine Rezeption von der man an die richtige Abteilung weiterverwiesen wird, gibt es nicht. Wieder müssen wir einen Arzt auf dem Hof abfangen, welcher uns den Weg über zwei Hinterhöfe, ein dreckiges Treppenhaus hinauf zur Traumastation weißt. Wir warten vor einer Tür hinter der ein Kind erbärmlich vor Schmerzen schreit. Dann kommt endlich der Arzt und wir sind an der Reihe. Er sieht aus wie der Inbegriff eines sowjetischen Arztes: Großer Schnauzbart und eine hohe weiße Mütze auf dem Kopf die eher an einen Koch als an einen Arzt erinnert. Er reinigt die Wunde erneut und beruhigt uns, dass es nicht so schlimm ist wie es aussieht. Ein Verband ist seiner Meinung nach ausreichend…
Wir beschließen weiter zum Iskander Kul See zu fahren. Auch auf der gut ausgebaute Bergstraße Richtung Duschanbe haben die Regenfälle der letzten Woche ihre Spuren hinterlassen. Wir müssen häufiger anhalten, weil vor uns noch Felsen auf der Straße liegen. An zwei Stellen sehen wir, wie es vor uns herunterbröckelt und wir bleiben sicherheitshalber stehen um keinen Stein abzubekommen.
Der See begrüßt uns mit kalten Temperaturen. Er liegt auf 2200m und die Schneefallgrenze ist an diesem Tag nur 20m über uns. Wir finden einen netten Stellplatz nur wenige hundert Meter hinter dem Ferienhaus des tadschikischen Präsidenten. Hier verbringen wir einige ruhige Tage um uns von dem Drama in den Fan-Bergen zu erholen.
Gut erholt geht es weiter durch die Berge in Richtung der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe.
Wir müssen durch den berüchtigten Azob Tunnel fahren. Durch die fehlende Beleuchtung und der fehlende Belüftung des Tunnels, wurde der Tunnel aufgrund der vielen tödlichen Unfälle zum „Tunnel des Todes“ avanciert. Die Abgase im Tunnel werden nicht abgeleitet und die Sicht ist aufgrund des aufgewirbelten Staubs und der fehlenden Beleuchtung auf wenige Meter beschränkt. Mit Respekt fahren wir hinein und merken nach kurzer Zeit schon die schlechte Luft durch einen leichten Kopfschmerz der sich ausbreitet. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn es in dem Tunnel zu einem Unfall kommt. Allein schon ein längerer Stau würde ausreichen um einem nach kurzer Zeit die Luft ausgehen zu lassen. Die tadschikischen Lastwagenfahrer sind weniger beeindruckt. Sie überholen uns dennoch in dem schmalen Tunnel mit ihren großen Kohlelastern.
In Duschanbe lassen wir unsere Klimaanlage reparieren. In der Werkstatt von Anar, welcher lange in Deutschland gelebt hat, treffen wir drei weitere Overlander wieder. Dagmar und Olli in ihrem Pickup und Claudia und Flo im Sprinter bekommen neue Stoßdämpfer, Jonas und Lisa im Hiace lassen alle Öle tauschen. Unsere Reparatur geht leider nicht schnell über die Bühne. Insgesamt fünf Tage stehen wir in Duschanbe – teils auf dem Hof der Werkstatt. Nachdem wir dann endlich wieder aufgebrochen sind, müssen wir nach 80km wieder umkehren. Wieder leckt der Kühler der Klimaanlage und wir fahren zurück zu Anar. Es ist der 9.Mai, der Feiertag zum Sieg über Nazideutschland, und die Werkstatt hat geschlossen. Also bleiben wir einen weiteren Tag bis wir endlich erneut Richtung Pamir aufbrechen können!